Sonntag, 23. August 2015

Mit dem Auto nach Meran - September 2010

In der Generation der 1940er bis 1960er Jahrgänge hat nahezu jeder wohl in seiner Jugend eine Urlaubsfahrt mit Eltern oder Großeltern nach Südtirol unternommen. So war es auch bei mir. Ich habe eigentlich keine konkrete Erinnerung mehr an Orte, wo wir waren, nur eine Erinnerung an eine schöne Zeit. Und Erinnerung an meinen Opa, der mit mir über Weinreben hinweg unter vorgetäuschter Lebensgefahr Sesselbahn gefahren ist. Auf die Spuren dieser Erinnerungen wollte ich mich nun begeben, zumal auch noch eine Bekannte von ihrem schönen Urlaub in Südtirol schwärmte und mir quasi als Lockvogel eine CD mit den dabei von ihr geschossenen Fotos in den Briefkasten warf. Jetzt musste ich nur noch meinen Mann überreden – was mir eigentlich fast immer gelingt. Eigentlich sollte es nach Bozen gehen, weil mir das ein bisschen Italienischer erschien als die übrigen Orte in Südtirol und groß genug, um mich in sieben Tagen Urlaub nicht zu langweilen. Doch in Bozen fand ich keine zu meinem Portemonnaie passende Unterkunft. Also wich ich auf Meran aus. Da ich selbst kürzlich erst Eigentümerin eines Ferienhauses geworden bin, wollte ich gerne gucken, wie andere das so machen und suchte für uns eine Ferienwohnung. Für 450 Euro die Woche wurde ich zentrumsnah fündig. Nach den üblichen Startschwierigkeiten in den Urlaub – (eigentlich will ich gar nicht weg, was soll ich da, zu Hause ist es doch viel schöner, die armen Katzen...) - machte auch die Wettervorhersage wenig Lust auf eine Reise nach Südtirol. Aber wer storniert schon einen Urlaub, den er schon bezahlt hat? Schnell waren ein paar Jeans, Pullover, Shirts im Koffer – und dann ging es los. Das Navi wurde programmiert, zur Sicherheit druckten wir noch einen Routenplan aus. Auf die Technik kann man sich doch nie so ganz verlassen. Dass das sehr weise war, bewies sich schließlich in Österreich. Im Ort Imst fand sich selbst das Navi nicht mehr zurecht und führte uns dann - entgegen unseren Wünschen - nicht über den Reschenpass. Wir wurden über Innsbruck und die Brennerautobahn geleitet und zahlten noch einmal 8 Euro Maut für diese private Autobahn, obwohl wir doch schon die zehn-Tage-Vignette für Österreich gekauft hatten. Sehr ärgerlich! Jetzt hätte uns kein noch so netter Österreicher mehr für sich einnehmen können. Nun steuerten wir also über den Jaufenpass Richtung Meran. 2.094 Meter. Ich muss zugeben, wir sind überhaupt keine erfahrenen Auto-Urlauber. Waren sonst immer im Flieger, per Bahn oder Bus unterwegs. Im Auto maximal bis zur holländischen Küste. Welche abenteuerliche Tour uns bevorstand, davon hatten wir nicht den blassesten Schimmer. Gut, an der Straße, die zum Pass hochführte, stand ein Schild: „Pass geöffnet“, aber dabei dachten wir uns eigentlich wenig. Und dann ging es hoch. In unendlich vielen Haarnadel-Kurven höher und höher. Die Strecke schien überhaupt kein Ende nehmen zu wollen und der Berg nie seinen Gipfel zu zeigen. Die Vegetation wurde immer karger und schließlich tauchten die ersten Schnee-Flecken auf. Oh – schau nur. Hier hat es wohl schon geschneit. Und immer noch höher. Schatz, hast Du eigentlich Winterreifen drauf? Nein? Ah. Hoffentlich hält sich das sonnige Wetter. Und hoffentlich sind wir jetzt endlich bald am höchsten Punkt. Also ehrlich. Uns wurde schon ziemlich mulmig. Aber selbst ganz oben immer noch Hotels und Jausen-Hütten. Und viel Schnee. Auf dem höchsten Punkt, den wir eigentlich gerne schnell hinter uns gebracht hätten, ließen wir es uns trotzdem nicht nehmen, ein paar Beweis-Photos zu schießen. Das glaubt einem ja sonst keiner. Und diese Aussicht - umwerfend! Dafür hatten sich die 8 Euro Brennerautobahn gelohnt. Aller Ärger war wie ausgelöscht. Wenn wir jetzt noch wieder heil herunterkommen würden, dann war das einfach ein tolles Erlebnis, ein super Einstieg in den Urlaub. Na, ja. Ein paar Motorradfahrer, ein Linienbus und einige verrückte italienische Autofahrer ließen bei der Abfahrt schon ab und zu das Herz ein bisschen schneller schlagen. Aber irgendwann hatten wir tatsächlich Meran erreicht. Das Navi, das wir inzwischen „Rudi“ getauft hatten, hatte sich auch wieder berappelt und führt uns schnurstracks zu unserem Quartier. Keine Ferienwohnung, nur ein Ferienzimmer mit Schrankküche. Aber schön zentral gelegen und sauber. Die Rezeptionistin sehr charmant. Das Größte: Wir können ausschlafen die nächsten Tage. Keine Hotel-Frühstückszeiten, die selbst in den Ferien Stress machen. Keine Putzfrauen, die stören, wenn man sich mal ein bisschen intim im Zimmer zurückziehen möchte. Wir packten alles aus und zogen los, um die Stadt zu erkunden. Herrlich. Keine Spur von dem angekündigten Regen, noch relativ milde Temperaturen. In der Altstadt die Laubengasse. Auf beiden Seiten Geschäfte und Restaurants unter Arkaden – ideal also selbst für verregnete Urlaubstage. Wir waren hungrig und lasen jede Speisekarte. Man, da kann Koblenz aber noch zulegen. Kein Gericht, außer Pizza und Pasta unter zehn Euro. Pizza und Pasta bietet dafür eigentlich jedes Restaurant an. Je nach Belag zwischen fünf und zehn Euro. In einem Restaurant entdeckten wir noch Käsefondue für zwei Personen für zwanzig Euro. Nun, gut. Das können wir auch einmal ins Auge fassen. Ansonsten wird unsere Ernährung in den nächsten Tagen wohl etwas einseitig sein. Aber egal. Wer denkt an Essen, wenn er durch eine solch herrliche Stadt schlendert? Für den ersten Tag reichte es uns sowieso. Wir hatten beide keinen Appetit vor lauter Müdigkeit. Die Klappcouch wurde schnell zum Bett – zu einem sehr bequemen übrigens. Ohrstöpsel gegen eventuelle Schuhklapper-, Fernseh- oder Schnarchgeräusche lagen bereit, aber ich war so schnell eingeschlafen, dass die gar keine Verwendung mehr fanden. Am nächsten Morgen dann das größte Geschenk. Blick auf schneebedeckte Berggipfel (über die wir ja einen Tag zuvor erst gefahren waren). Darüber strahlend blauer Himmel und Sonnenschein. Ich ging Brötchen holen, kannte mich ja nun schon aus in Meran. Beide Bäcker, bei denen wir am Vorabend in den Auslagen lesen konnten, dass sie auch am Sonntag geöffnet hätten, waren natürlich geschlossen. Ha, macht doch nichts. Laufe ich eben noch weiter. Und siehe da, nach der nächsten Kreuzung wurde ich fündig. Zwei italienisch sprechende ältere Herren wählten gerade für die Herzdamen die Frühstücks-Brötchen nach Aspekten der Magengesundheit aus, beflirteten mich, so wie es sich für einen ordentlichen Italiener gehört und überließen mir dann die Verkaufstheke. Ist es nicht phantastisch, in einem Land zu urlauben, in dem überall (wenn der Gesprächspartner dazu bereit ist) sowohl Italienisch als auch Deutsch gesprochen wird? Alle Schilder sind zweisprachig aufgestellt. Und jeder versteht einen – fast. Österreichisches Deutsch ist auch nicht immer gut verständlich, aber man gewöhnt sich dran. Mit einer fetten Tüte Brötchen unterm Arm marschierte ich zurück, grüßte unterwegs schon die ersten Bekannten auf dem Platz vor dem Polizeirevier (unsere Residenz-Vermieterin) und nahm am gedeckten Frühstückstisch Platz. Noch ein bisschen Zeitung lesen mit Informationen aus der Heimat. Aber interessieren tut das hier eigentlich kaum noch. Wer will schon wissen, wer im Café Hahn am Abend auftritt, wie weit die Bauarbeiten am Zentralplatz sind oder welcher Politiker seinen Senf zu welcher städtischen Angelegenheit abgegeben hat? Ich will jetzt los, Stadt bei Tageslicht – bei Sonnenschein (gut, dass sich Wetterfrösche auch mal positiv irren) ansehen. Erstmal ein Internet-Café suchen. Zwei soll es ja geben in Meran. Und eine Woche ohne Internet geht gar nicht. Das erste fanden wir auch ziemlich gut. Nur, dass es dort schon seit über einem Jahr kein Internet mehr gibt. Typisch. Aktuell sind die Reiseführer ja selten. Das zweite in der Laubengasse war noch in Betrieb. Weil die Italiener sich aber schrecklich vor Terroristen fürchten, kann man das Internet in öffentlichen Einrichtungen nur nutzen, wenn man sich mit einem Personal-Ausweis dort zuvor registriert. Danach funktionierte alles und wir erhielten zum Abschied vom Inhaber gleich noch einen guten Tipp für einen Ausflug zu einem Weingut in der Nähe von Meran. Wir wollten uns aber erst einmal im Ort selbst umschauen, die beliebtesten Spazierwege entlang der Passer, dem durch Meran rauschenden Fluss, der in die Etsch mündet, erlaufen. Sommerpromenade (ein schattiger Weg, der daher besonders im Sommer gerne gewählt wird) und Winterpromenade. Hier scheint die Sonne auch Ende September noch bis nach 16 Uhr und ich liege erst einmal – völlig entgegen meiner sonst so rücksichtsvollen Gesinnung – der Länge nach auf einer der dort aufgestellten Ruhebänke, den Kopf im Schoß des Liebsten. Kunstvoll gelingt es mir, das Unterhemd unter dem Pullover auszuziehen (Mr. Bean hätte seine Freude an mir gehabt und einige der vorbeiziehenden Passanten hatten sie ganz offensichtlich). Ich ziehe Schuhe und Strümpfe aus und gebe mich den wärmenden Strahlen der Sonne hin. Später flanieren wir die Promenade entlang, vorbei an zahllosen Cafés und Eisdielen, Souvenir-, Zeitungs- und Lederwarengeschäften. Hier steht auch das Kurhaus. Das Auge erfreut sich an phantastisch schönen Pflanzanlagen und der kleine Hunger an Buden, wo man Würstchen, Eis oder Getränke kaufen kann. Und – oh, ja. Es gibt frischen Traubensaft. Ich hatte die Hoffnung, es gäbe auch so etwas wie Federweißer hier. Aber Traubensaft ist auch gut. Und dazu: Frische Kastanien. Stand wenigstens dran, gab es aber nicht. „Aber ganz bestimmt übermorgen“. Den Spruch haben die Italiener auch schon seit vierzig Jahren drauf. (Übermorgen gab es sie tatsächlich. Allerdings so sündhaft teuer, dass ich dann lieber die Angebote auf dem Koblenzer Weihnachtsmarkt annehmen werde). Dafür war die Eisdiele eine wirklich angenehme Überraschung. Neunzig Cent pro Kugel, und der Eisverkäufer war wahrscheinlich ein Stotterer. Aus zwei bestellten wurden vier gelieferte Kugeln. Zum Preis von 1,80 Euro. Das ist doch in Ordnung. Und die Qualität war große Klasse. Machen wir morgen wieder, wenn die Sonne scheint. Und: Wir gehen morgen in die Therme mit über zwanzig Schwimmbecken – eine sehr moderne, sehr gepflegte Anlage. Im warmen Wasser entspannen, das will ich unbedingt. Oder sollen wir doch lieber mit der Sesselbahn zum Dorf Tyrol hochfahren, wo sich Cafés und Restaurants aneinanderreihen, wo man mit Kaiserschmarrn und Käseomelett ein bisschen Hüftgold erkaufen kann? Ach, nach Bozen würde ich auch gerne. Wenigstens mal gucken. Zug fährt ja alle Augenblicke dort hin. Bus auch. Und auf keinen Fall dürfen wir den riesigen Botanischen Garten am Schloss Trauttmannsdorff auslassen. Der „Verbotene Garten“ darin macht mich natürlich besonders neugierig, wie alles, was verboten ist. Ein Museum (falls es doch mal regnen sollte) mit viel „Anfassen und Ausprobieren erlaubt“ lässt sich dort auch noch besuchen. Ob wir doch noch eine Woche dran hängen sollen?
Mal sehen, was der nächste Tag bringt. Jetzt erstmal zum Abendessen gehen. Mein Mann hat gottseidank einen Laden – leider ohne jegliche Atmosphäre - gefunden, der Hähnchen anbietet. Für 6,50 Euro. Ich entscheide mich für eine Gorgonzola-Pizza mit köstlich dünnem Boden und Maiskörnern. Sehr lecker. Der Tafelwein war für fünf Euro (halber Liter) sehr gut trinkbar. Und zum Schluss hatten wir neue Freunde gewonnen. Es gab Sambuca und Averna auf Kosten des Hauses und mein Mann durfte die Freundin des Hauses herzen. Augen und Beine waren so schwer, dass wir schon um kurz nach zwanzig Uhr völlig erschöpft in unserem Ferienzimmer landeten. Bett ausklappen, Fernseher an und ahhh – herrlich. Entspannen.
An den nächsten Urlaubstagen haben wir das meiste von dem umgesetzt, was wir angedacht hatten. Vor allem haben wir uns viel Zeit fürs Nichtstun, für Leutegucken und Bummeln gegönnt. Und irgendwann, plötzlich und viel zu schnell, hieß es dann schon wieder: Packen, Rudi einschalten und die Nachhausefahrt antreten.

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