In der Generation der 1940er bis 1960er
Jahrgänge hat nahezu jeder wohl in seiner Jugend eine Urlaubsfahrt
mit Eltern oder Großeltern nach Südtirol unternommen. So war es
auch bei mir. Ich habe eigentlich keine konkrete Erinnerung mehr an
Orte, wo wir waren, nur eine Erinnerung an eine schöne Zeit. Und
Erinnerung an meinen Opa, der mit mir über Weinreben hinweg unter
vorgetäuschter Lebensgefahr Sesselbahn gefahren ist. Auf die Spuren
dieser Erinnerungen wollte ich mich nun begeben, zumal auch noch eine
Bekannte von ihrem schönen Urlaub in Südtirol schwärmte und mir
quasi als Lockvogel eine CD mit den dabei von ihr geschossenen Fotos
in den Briefkasten warf. Jetzt musste ich nur noch meinen Mann
überreden – was mir eigentlich fast immer gelingt. Eigentlich
sollte es nach Bozen gehen, weil mir das ein bisschen Italienischer
erschien als die übrigen Orte in Südtirol und groß genug, um mich
in sieben Tagen Urlaub nicht zu langweilen. Doch in Bozen fand ich
keine zu meinem Portemonnaie passende Unterkunft. Also wich ich auf
Meran aus. Da ich selbst kürzlich erst Eigentümerin eines
Ferienhauses geworden bin, wollte ich gerne gucken, wie andere das so
machen und suchte für uns eine Ferienwohnung. Für 450 Euro die
Woche wurde ich zentrumsnah fündig. Nach den üblichen
Startschwierigkeiten in den Urlaub – (eigentlich will ich gar nicht
weg, was soll ich da, zu Hause ist es doch viel schöner, die armen
Katzen...) - machte auch die Wettervorhersage wenig Lust auf eine
Reise nach Südtirol. Aber wer storniert schon einen Urlaub, den er
schon bezahlt hat? Schnell waren ein paar Jeans, Pullover, Shirts im
Koffer – und dann ging es los. Das Navi wurde programmiert, zur
Sicherheit druckten wir noch einen Routenplan aus. Auf die Technik
kann man sich doch nie so ganz verlassen. Dass das sehr weise war,
bewies sich schließlich in Österreich. Im Ort Imst fand sich selbst
das Navi nicht mehr zurecht und führte uns dann - entgegen unseren
Wünschen - nicht über den Reschenpass. Wir wurden über Innsbruck
und die Brennerautobahn geleitet und zahlten noch einmal 8 Euro Maut
für diese private Autobahn, obwohl wir doch schon die
zehn-Tage-Vignette für Österreich gekauft hatten. Sehr ärgerlich!
Jetzt hätte uns kein noch so netter Österreicher mehr für sich
einnehmen können. Nun steuerten wir also über den Jaufenpass
Richtung Meran. 2.094 Meter. Ich muss zugeben, wir sind überhaupt
keine erfahrenen Auto-Urlauber. Waren sonst immer im Flieger, per
Bahn oder Bus unterwegs. Im Auto maximal bis zur holländischen
Küste. Welche abenteuerliche Tour uns bevorstand, davon hatten wir
nicht den blassesten Schimmer. Gut, an der Straße, die zum Pass
hochführte, stand ein Schild: „Pass geöffnet“, aber dabei
dachten wir uns eigentlich wenig. Und dann ging es hoch. In unendlich
vielen Haarnadel-Kurven höher und höher. Die Strecke schien
überhaupt kein Ende nehmen zu wollen und der Berg nie seinen Gipfel
zu zeigen. Die Vegetation wurde immer karger und schließlich
tauchten die ersten Schnee-Flecken auf. Oh – schau nur. Hier hat es
wohl schon geschneit. Und immer noch höher. Schatz, hast Du
eigentlich Winterreifen drauf? Nein? Ah. Hoffentlich hält sich das
sonnige Wetter. Und hoffentlich sind wir jetzt endlich bald am
höchsten Punkt. Also ehrlich. Uns wurde schon ziemlich mulmig. Aber
selbst ganz oben immer noch Hotels und Jausen-Hütten. Und viel
Schnee. Auf dem höchsten Punkt, den wir eigentlich gerne schnell
hinter uns gebracht hätten, ließen wir es uns trotzdem nicht
nehmen, ein paar Beweis-Photos zu schießen. Das glaubt einem ja
sonst keiner. Und diese Aussicht - umwerfend! Dafür hatten sich die
8 Euro Brennerautobahn gelohnt. Aller Ärger war wie ausgelöscht.
Wenn wir jetzt noch wieder heil herunterkommen würden, dann war das
einfach ein tolles Erlebnis, ein super Einstieg in den Urlaub. Na,
ja. Ein paar Motorradfahrer, ein Linienbus und einige verrückte
italienische Autofahrer ließen bei der Abfahrt schon ab und zu das
Herz ein bisschen schneller schlagen. Aber irgendwann hatten wir
tatsächlich Meran erreicht. Das Navi, das wir inzwischen „Rudi“
getauft hatten, hatte sich auch wieder berappelt und führt uns
schnurstracks zu unserem Quartier. Keine Ferienwohnung, nur ein
Ferienzimmer mit Schrankküche. Aber schön zentral gelegen und
sauber. Die Rezeptionistin sehr charmant. Das Größte: Wir können
ausschlafen die nächsten Tage. Keine Hotel-Frühstückszeiten, die
selbst in den Ferien Stress machen. Keine Putzfrauen, die stören,
wenn man sich mal ein bisschen intim im Zimmer zurückziehen möchte.
Wir packten alles aus und zogen los, um die Stadt zu erkunden.
Herrlich. Keine Spur von dem angekündigten Regen, noch relativ milde
Temperaturen. In der Altstadt die Laubengasse. Auf beiden Seiten
Geschäfte und Restaurants unter Arkaden – ideal also selbst für
verregnete Urlaubstage. Wir waren hungrig und lasen jede Speisekarte.
Man, da kann Koblenz aber noch zulegen. Kein Gericht, außer Pizza
und Pasta unter zehn Euro. Pizza und Pasta bietet dafür eigentlich
jedes Restaurant an. Je nach Belag zwischen fünf und zehn Euro. In
einem Restaurant entdeckten wir noch Käsefondue für zwei Personen
für zwanzig Euro. Nun, gut. Das können wir auch einmal ins Auge
fassen. Ansonsten wird unsere Ernährung in den nächsten Tagen wohl
etwas einseitig sein. Aber egal. Wer denkt an Essen, wenn er durch
eine solch herrliche Stadt schlendert? Für den ersten Tag reichte es
uns sowieso. Wir hatten beide keinen Appetit vor lauter Müdigkeit.
Die Klappcouch wurde schnell zum Bett – zu einem sehr bequemen
übrigens. Ohrstöpsel gegen eventuelle Schuhklapper-, Fernseh- oder
Schnarchgeräusche lagen bereit, aber ich war so schnell
eingeschlafen, dass die gar keine Verwendung mehr fanden. Am nächsten
Morgen dann das größte Geschenk. Blick auf schneebedeckte
Berggipfel (über die wir ja einen Tag zuvor erst gefahren waren).
Darüber strahlend blauer Himmel und Sonnenschein. Ich ging Brötchen
holen, kannte mich ja nun schon aus in Meran. Beide Bäcker, bei
denen wir am Vorabend in den Auslagen lesen konnten, dass sie auch am
Sonntag geöffnet hätten, waren natürlich geschlossen. Ha, macht
doch nichts. Laufe ich eben noch weiter. Und siehe da, nach der
nächsten Kreuzung wurde ich fündig. Zwei italienisch sprechende
ältere Herren wählten gerade für die Herzdamen die
Frühstücks-Brötchen nach Aspekten der Magengesundheit aus,
beflirteten mich, so wie es sich für einen ordentlichen Italiener
gehört und überließen mir dann die Verkaufstheke. Ist es nicht
phantastisch, in einem Land zu urlauben, in dem überall (wenn der
Gesprächspartner dazu bereit ist) sowohl Italienisch als auch
Deutsch gesprochen wird? Alle Schilder sind zweisprachig aufgestellt.
Und jeder versteht einen – fast. Österreichisches Deutsch ist auch
nicht immer gut verständlich, aber man gewöhnt sich dran. Mit einer
fetten Tüte Brötchen unterm Arm marschierte ich zurück, grüßte
unterwegs schon die ersten Bekannten auf dem Platz vor dem
Polizeirevier (unsere Residenz-Vermieterin) und nahm am gedeckten
Frühstückstisch Platz. Noch ein bisschen Zeitung lesen mit
Informationen aus der Heimat. Aber interessieren tut das hier
eigentlich kaum noch. Wer will schon wissen, wer im Café Hahn am
Abend auftritt, wie weit die Bauarbeiten am Zentralplatz sind oder
welcher Politiker seinen Senf zu welcher städtischen Angelegenheit
abgegeben hat? Ich will jetzt los, Stadt bei Tageslicht – bei
Sonnenschein (gut, dass sich Wetterfrösche auch mal positiv irren)
ansehen. Erstmal ein Internet-Café suchen. Zwei soll es ja geben in
Meran. Und eine Woche ohne Internet geht gar nicht. Das erste fanden
wir auch ziemlich gut. Nur, dass es dort schon seit über einem Jahr
kein Internet mehr gibt. Typisch. Aktuell sind die Reiseführer ja
selten. Das zweite in der Laubengasse war noch in Betrieb. Weil die
Italiener sich aber schrecklich vor Terroristen fürchten, kann man
das Internet in öffentlichen Einrichtungen nur nutzen, wenn man sich
mit einem Personal-Ausweis dort zuvor registriert. Danach
funktionierte alles und wir erhielten zum Abschied vom Inhaber gleich
noch einen guten Tipp für einen Ausflug zu einem Weingut in der Nähe
von Meran. Wir wollten uns aber erst einmal im Ort selbst umschauen,
die beliebtesten Spazierwege entlang der Passer, dem durch Meran
rauschenden Fluss, der in die Etsch mündet, erlaufen.
Sommerpromenade (ein schattiger Weg, der daher besonders im Sommer
gerne gewählt wird) und Winterpromenade. Hier scheint die Sonne auch
Ende September noch bis nach 16 Uhr und ich liege erst einmal –
völlig entgegen meiner sonst so rücksichtsvollen Gesinnung – der
Länge nach auf einer der dort aufgestellten Ruhebänke, den Kopf im
Schoß des Liebsten. Kunstvoll gelingt es mir, das Unterhemd unter
dem Pullover auszuziehen (Mr. Bean hätte seine Freude an mir gehabt
und einige der vorbeiziehenden Passanten hatten sie ganz
offensichtlich). Ich ziehe Schuhe und Strümpfe aus und gebe mich den
wärmenden Strahlen der Sonne hin. Später flanieren wir die
Promenade entlang, vorbei an zahllosen Cafés und Eisdielen,
Souvenir-, Zeitungs- und Lederwarengeschäften. Hier steht auch das
Kurhaus. Das Auge erfreut sich an phantastisch schönen Pflanzanlagen
und der kleine Hunger an Buden, wo man Würstchen, Eis oder Getränke
kaufen kann. Und – oh, ja. Es gibt frischen Traubensaft. Ich hatte
die Hoffnung, es gäbe auch so etwas wie Federweißer hier. Aber
Traubensaft ist auch gut. Und dazu: Frische Kastanien. Stand
wenigstens dran, gab es aber nicht. „Aber ganz bestimmt
übermorgen“. Den Spruch haben die Italiener auch schon seit
vierzig Jahren drauf. (Übermorgen gab es sie tatsächlich.
Allerdings so sündhaft teuer, dass ich dann lieber die Angebote auf
dem Koblenzer Weihnachtsmarkt annehmen werde). Dafür war die
Eisdiele eine wirklich angenehme Überraschung. Neunzig Cent pro
Kugel, und der Eisverkäufer war wahrscheinlich ein Stotterer. Aus
zwei bestellten wurden vier gelieferte Kugeln. Zum Preis von 1,80
Euro. Das ist doch in Ordnung. Und die Qualität war große Klasse.
Machen wir morgen wieder, wenn die Sonne scheint. Und: Wir gehen
morgen in die Therme mit über zwanzig Schwimmbecken – eine sehr
moderne, sehr gepflegte Anlage. Im warmen Wasser entspannen, das will
ich unbedingt. Oder sollen wir doch lieber mit der Sesselbahn zum
Dorf Tyrol hochfahren, wo sich Cafés und Restaurants
aneinanderreihen, wo man mit Kaiserschmarrn und Käseomelett ein
bisschen Hüftgold erkaufen kann? Ach, nach Bozen würde ich auch
gerne. Wenigstens mal gucken. Zug fährt ja alle Augenblicke dort
hin. Bus auch. Und auf keinen Fall dürfen wir den riesigen
Botanischen Garten am Schloss Trauttmannsdorff auslassen. Der
„Verbotene Garten“ darin macht mich natürlich besonders
neugierig, wie alles, was verboten ist. Ein Museum (falls es doch mal
regnen sollte) mit viel „Anfassen und Ausprobieren erlaubt“ lässt
sich dort auch noch besuchen. Ob wir doch noch eine Woche dran hängen
sollen?
Mal sehen, was der nächste Tag bringt.
Jetzt erstmal zum Abendessen gehen. Mein Mann hat gottseidank einen
Laden – leider ohne jegliche Atmosphäre - gefunden, der Hähnchen
anbietet. Für 6,50 Euro. Ich entscheide mich für eine
Gorgonzola-Pizza mit köstlich dünnem Boden und Maiskörnern. Sehr
lecker. Der Tafelwein war für fünf Euro (halber Liter) sehr gut
trinkbar. Und zum Schluss hatten wir neue Freunde gewonnen. Es gab
Sambuca und Averna auf Kosten des Hauses und mein Mann durfte die
Freundin des Hauses herzen. Augen und Beine waren so schwer, dass wir
schon um kurz nach zwanzig Uhr völlig erschöpft in unserem
Ferienzimmer landeten. Bett ausklappen, Fernseher an und ahhh –
herrlich. Entspannen.
An den nächsten Urlaubstagen haben wir
das meiste von dem umgesetzt, was wir angedacht hatten. Vor allem
haben wir uns viel Zeit fürs Nichtstun, für Leutegucken und Bummeln
gegönnt. Und irgendwann, plötzlich und viel zu schnell, hieß es
dann schon wieder: Packen, Rudi einschalten und die Nachhausefahrt
antreten.
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