Mit
einer Fläche von rund dreißig Hektar ist der im Jahr 1820 eingeweihte Koblenzer
Hauptfriedhof der größte der insgesamt zwanzig städtischen Friedhöfe
und ein geschütztes Kulturdenkmal. Um möglichst viel über den
Friedhof und die Grabstätten zu erfahren, schließt man sich am
besten einer fachkundigen Führung an. Bevor der Friedhof hier zwischen Goldgrube und Karthause angelegt
wurde, befand er sich seit 1777 am Löhrtor. Da der neue Standort im
Schussfeld der Festungswerke lag, das übersichtlich gehalten werden
musste, war anfangs die Errichtung von stehenden Grabsteinen und
Grüften verboten. Schon 1833 wurde eine erste Erweiterung des
Friedhofs notwendig. Schwere Beschädigungen erfuhr er mit den
Luftangriffen auf Koblenz im Zweiten Weltkrieg. Noch heute sind
Spuren davon an einigen Grabmälern auszumachen. Ab den
1950er/60er-Jahren wurde der Hauptfriedhof massiv umgestaltet bis zu
dem parkähnlichen Erscheinungsbild von heute. Mit dem, in den
1980er-Jahren angelegten Arboretum fand er sogar Aufnahme in die
„Route der Welterbegärten". Seit dem Jahr 2002 ist er Teil
des UNESCO-Welterbes „Oberes Mittelrheintal". Eine malerische,
Mitte des 19. Jahrhunderts gepflanzte Platanenallee ist das Herzstück
im terrassenförmig angelegten historischen Teil des Friedhofs. Durch
diesen werde ich heute geführt, denn hier ist eine große Anzahl
denkmalwerter Grabstätten bekannter und verdienter Koblenzer
Persönlichkeiten zu besichtigen. Ganz nahe beim Haupteingang und
dem dort stehenden großen, runden Mosaik-Brunnen wird mir ein
Grab aus dem Jahr 1867 gezeigt, das sich durch den Erhalt der
Original-Bepflanzung, zwei die Grabstätte flankierende Eibenbäume,
als Besonderheit auszeichnet. Bei der folgenden Führung gibt es viel
zu lernen über Material und Baustile. Der Friedhofsführer zeigt mir Grabmäler aus Granit, rotem Sandstein, Lahnmarmor,
Keramikplatten und Mosaik. Als erstes Zeitzeugnis der Koblenzer
Bestattungskultur gilt die kleine Kollektion historischer,
spätbarocker Grabkreuze, von verschiedenen Koblenzer Friedhöfen
geborgen und hierher verbracht. Genauso die auf vielen Gräbern
liegenden Grabsteine, Kissensteine, die in der Zeit verwendet wurden,
als hohe Grabaufbauten auf dem Friedhof noch verboten waren. Die
große Familiengrabstätte aus dem frühen 20. Jahrhundert mit einem
Grabmal aus poliertem schwarzen Granit, wäre anfangs jedenfalls
nicht möglich gewesen. Sie sei der Stadt Koblenz als
„erhaltenswert" empfohlen worden, ebenso wie andere
Grabstätten, die es wegen einer zeittypischen Gestaltung oder der
bestatteten (bedeutenden) Persönlichkeiten zu erhalten gelte.
Zahlreiche Grab- und Ehrenmäler auf dem Hauptfriedhof haben eine
Eintragung als Kulturdenkmal erhalten. Dazu gehört eines der hier
bedeutendsten Familiengräber, das der Familie Vahlbruch. Es ist
verziert mit Jugendstilelementen, wozu auch die vollplastische Figur
des trauernden Engels gehört. Der 1911 verstorbene Hauptmann Ernst
Vahlbruch soll besonders wegen seines militärischen Wirkens für die
Festung Koblenz und Ehrenbreitstein bekannt gewesen sein. Das
älteste Grabmal des Friedhofs ist aus dem Jahr 1824. Hier liegt
Freiherr von Thielmann begraben, ein General der napoleonischen Zeit,
der unter anderem in Koblenz kommandierte. Seine Grabstätte ist mit
einem Helm, eine Arbeit der Sayner Hütte, verziert. Von der Sayner
Hütte stammen noch andere Arbeiten auf dem Friedhof, wie zum
Beispiel die drei nebeneinander stehenden Grabmäler von Mitgliedern
der Familie Wegeler. Und das großartige Tabernakel-Grabmal von
Pfarrer Carl Albrecht, der fast dreißig Jahre lang Pfarrer der
Pfarrei Liebfrauen war und 1833 in Koblenz gestorben ist. Das soll zu den prominentesten auf dem Friedhof gehören. Das
skurrilste ist vielleicht das Grabmal der Familie Aldenhoven - Franz
Hubert war einer der ersten, der hier beigesetzt wurde. An der Seite
des schlichten Marmorsteins ist ein Hinweis auf das berühmte „Götz
von Berlichingen"-Zitat eingemeißelt. Was Aldenhoven dazu
veranlasste, kann mir niemand erklären. Beim
weiteren Rundgang „begegne" ich vielen prominenten
Verstorbenen. Wie beispielsweise Peter Altmeier, zweiter
Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz, Justizrat Dr. Karl
Weber, der immerhin ein halbes Jahr lang als Bundesjustizminister
amtierte, Caroline Settegast, Mitbegründerin des katholischen
Frauenvereins St. Barbara und etlichen ehemaligen Oberbürgermeistern
der Stadt Koblenz. Dazu gehören Hubert Josef Cadenbach, Willi
Hörter, Wilhelm Kurth, Carl Heinrich Lottner, Josef Schnorbach und
Emil Schüller. Wie bei Willi Hörters Grabstein, haben immer wieder
Koblenzer Bildhauer und Steinmetze auf dem Friedhof ihre Spuren
hinterlassen. Hier ist es die Koblenzer Bildhauerin Edith
Peres-Lethmate, die das Dreifaltigkeits-Relief auf seinem Grabstein
gestaltete. Mit einem Relief-Bildmotiv zum Thema Sterben und Trauer
auf der Grabstätte der Familie Hils vom Bestattungsunternehmen
Bloemers ist eine Arbeit des Bildhauers Rudi Scheuermann erhalten
geblieben. Nachdenklich und ehrfürchtig verharre ich ein
wenig später vor den imposanten Kriegsgräberehrenstätten des
ersten und zweiten Weltkriegs und der Gedenkstätte für die Toten in
Deutschlands Osten. An der Wiesenfläche, auf der über vierhundert
Kissensteine an die Opfer des 1. Weltkriegs erinnern, zeigt mir der Führer eine historische Todesanzeige für einen 19-jährigen,
der 1918 an den Folgen eines Lungenschusses verstarb. Eine weitere
Gedenk- und Grabstätte erinnert an die 38 Toten des sich bei der
Rheinland-Befreiungsfeier im Jahr 1930 ereigneten Unglücks, als eine
Behelfsbrücke im Lützeler Hafen zusammenbrach, 14 der Unglücksopfer
sind hier begraben. Als wir an einem Glockenturm vorbeigehen, erfahre ich, dass diese Glocke früher immer dann geläutet hat, wenn
die Friedhofstore geschlossen wurden. Da die Tore heute immer offen
bleiben, wird der Turm nicht mehr gebraucht. Die Fledermäuse freut
es, sie haben sich dort eingenistet. Jede der viele weiteren besichtigten Grabstätten hat ihre eigene kleine, oftmals skurrile
Geschichte. Dass aber gerade die Grabstätte des
Schängellied-Schöpfers, des 1943 verstorbenen Mundartdichters Josef
Cornelius, ein derart schmuckloses Grab mit einem schlichten,
unscheinbaren Grabstein ist, enttäuscht mich ein wenig. Bevor
die Führung nach rund zweieinhalb Stunden endet, gibt es noch einen
letzten Halt an dem Friedhofskreuz und der Leichenhalle, die nach
Plänen von Lassaulx 1821-22 erbaut wurde. Nach mehrmaligen Umbauten
und der Kriegszerstörung wurde sie 1959-60 als Friedhofskapelle mit
einer dahinter liegenden Leichenhalle neu aufgebaut.
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