Sonntag, 23. August 2015

Ich erhalte eine Friedhofsführung

Mit einer Fläche von rund dreißig Hektar ist der im Jahr 1820 eingeweihte Koblenzer Hauptfriedhof der größte der insgesamt zwanzig städtischen Friedhöfe und ein geschütztes Kulturdenkmal. Um möglichst viel über den Friedhof und die Grabstätten zu erfahren, schließt man sich am besten einer fachkundigen Führung an. Bevor der Friedhof hier zwischen Goldgrube und Karthause angelegt wurde, befand er sich seit 1777 am Löhrtor. Da der neue Standort im Schussfeld der Festungswerke lag, das übersichtlich gehalten werden musste, war anfangs die Errichtung von stehenden Grabsteinen und Grüften verboten. Schon 1833 wurde eine erste Erweiterung des Friedhofs notwendig. Schwere Beschädigungen erfuhr er mit den Luftangriffen auf Koblenz im Zweiten Weltkrieg. Noch heute sind Spuren davon an einigen Grabmälern auszumachen. Ab den 1950er/60er-Jahren wurde der Hauptfriedhof massiv umgestaltet bis zu dem parkähnlichen Erscheinungsbild von heute. Mit dem, in den 1980er-Jahren angelegten Arboretum fand er sogar Aufnahme in die „Route der Welterbegärten". Seit dem Jahr 2002 ist er Teil des UNESCO-Welterbes „Oberes Mittelrheintal". Eine malerische, Mitte des 19. Jahrhunderts gepflanzte Platanenallee ist das Herzstück im terrassenförmig angelegten historischen Teil des Friedhofs. Durch diesen werde ich heute geführt, denn hier ist eine große Anzahl denkmalwerter Grabstätten bekannter und verdienter Koblenzer Persönlichkeiten zu besichtigen. Ganz nahe beim Haupteingang und dem dort stehenden großen, runden Mosaik-Brunnen wird mir ein Grab aus dem Jahr 1867 gezeigt, das sich durch den Erhalt der Original-Bepflanzung, zwei die Grabstätte flankierende Eibenbäume, als Besonderheit auszeichnet. Bei der folgenden Führung gibt es viel zu lernen über Material und Baustile. Der Friedhofsführer zeigt mir Grabmäler aus Granit, rotem Sandstein, Lahnmarmor, Keramikplatten und Mosaik. Als erstes Zeitzeugnis der Koblenzer Bestattungskultur gilt die kleine Kollektion historischer, spätbarocker Grabkreuze, von verschiedenen Koblenzer Friedhöfen geborgen und hierher verbracht. Genauso die auf vielen Gräbern liegenden Grabsteine, Kissensteine, die in der Zeit verwendet wurden, als hohe Grabaufbauten auf dem Friedhof noch verboten waren. Die große Familiengrabstätte aus dem frühen 20. Jahrhundert mit einem Grabmal aus poliertem schwarzen Granit, wäre anfangs jedenfalls nicht möglich gewesen. Sie sei der Stadt Koblenz als „erhaltenswert" empfohlen worden, ebenso wie andere Grabstätten, die es wegen einer zeittypischen Gestaltung oder der bestatteten (bedeutenden) Persönlichkeiten zu erhalten gelte. Zahlreiche Grab- und Ehrenmäler auf dem Hauptfriedhof haben eine Eintragung als Kulturdenkmal erhalten. Dazu gehört eines der hier bedeutendsten Familiengräber, das der Familie Vahlbruch. Es ist verziert mit Jugendstilelementen, wozu auch die vollplastische Figur des trauernden Engels gehört. Der 1911 verstorbene Hauptmann Ernst Vahlbruch soll besonders wegen seines militärischen Wirkens für die Festung Koblenz und Ehrenbreitstein bekannt gewesen sein. Das älteste Grabmal des Friedhofs ist aus dem Jahr 1824. Hier liegt Freiherr von Thielmann begraben, ein General der napoleonischen Zeit, der unter anderem in Koblenz kommandierte. Seine Grabstätte ist mit einem Helm, eine Arbeit der Sayner Hütte, verziert. Von der Sayner Hütte stammen noch andere Arbeiten auf dem Friedhof, wie zum Beispiel die drei nebeneinander stehenden Grabmäler von Mitgliedern der Familie Wegeler. Und das großartige Tabernakel-Grabmal von Pfarrer Carl Albrecht, der fast dreißig Jahre lang Pfarrer der Pfarrei Liebfrauen war und 1833 in Koblenz gestorben ist. Das soll zu den prominentesten auf dem Friedhof gehören. Das skurrilste ist vielleicht das Grabmal der Familie Aldenhoven - Franz Hubert war einer der ersten, der hier beigesetzt wurde. An der Seite des schlichten Marmorsteins ist ein Hinweis auf das berühmte „Götz von Berlichingen"-Zitat eingemeißelt. Was Aldenhoven dazu veranlasste, kann mir niemand erklären. Beim weiteren Rundgang „begegne" ich vielen prominenten Verstorbenen. Wie beispielsweise Peter Altmeier, zweiter Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz, Justizrat Dr. Karl Weber, der immerhin ein halbes Jahr lang als Bundesjustizminister amtierte, Caroline Settegast, Mitbegründerin des katholischen Frauenvereins St. Barbara und etlichen ehemaligen Oberbürgermeistern der Stadt Koblenz. Dazu gehören Hubert Josef Cadenbach, Willi Hörter, Wilhelm Kurth, Carl Heinrich Lottner, Josef Schnorbach und Emil Schüller. Wie bei Willi Hörters Grabstein, haben immer wieder Koblenzer Bildhauer und Steinmetze auf dem Friedhof ihre Spuren hinterlassen. Hier ist es die Koblenzer Bildhauerin Edith Peres-Lethmate, die das Dreifaltigkeits-Relief auf seinem Grabstein gestaltete. Mit einem Relief-Bildmotiv zum Thema Sterben und Trauer auf der Grabstätte der Familie Hils vom Bestattungsunternehmen Bloemers ist eine Arbeit des Bildhauers Rudi Scheuermann erhalten geblieben. Nachdenklich und ehrfürchtig verharre ich ein wenig später vor den imposanten Kriegsgräberehrenstätten des ersten und zweiten Weltkriegs und der Gedenkstätte für die Toten in Deutschlands Osten. An der Wiesenfläche, auf der über vierhundert Kissensteine an die Opfer des 1. Weltkriegs erinnern, zeigt mir der Führer eine historische Todesanzeige für einen 19-jährigen, der 1918 an den Folgen eines Lungenschusses verstarb. Eine weitere Gedenk- und Grabstätte erinnert an die 38 Toten des sich bei der Rheinland-Befreiungsfeier im Jahr 1930 ereigneten Unglücks, als eine Behelfsbrücke im Lützeler Hafen zusammenbrach, 14 der Unglücksopfer sind hier begraben. Als wir an einem Glockenturm vorbeigehen, erfahre ich, dass diese Glocke früher immer dann geläutet hat, wenn die Friedhofstore geschlossen wurden. Da die Tore heute immer offen bleiben, wird der Turm nicht mehr gebraucht. Die Fledermäuse freut es, sie haben sich dort eingenistet. Jede der viele weiteren besichtigten Grabstätten hat ihre eigene kleine, oftmals skurrile Geschichte. Dass aber gerade die Grabstätte des Schängellied-Schöpfers, des 1943 verstorbenen Mundartdichters Josef Cornelius, ein derart schmuckloses Grab mit einem schlichten, unscheinbaren Grabstein ist, enttäuscht mich ein wenig. Bevor die Führung nach rund zweieinhalb Stunden endet, gibt es noch einen letzten Halt an dem Friedhofskreuz und der Leichenhalle, die nach Plänen von Lassaulx 1821-22 erbaut wurde. Nach mehrmaligen Umbauten und der Kriegszerstörung wurde sie 1959-60 als Friedhofskapelle mit einer dahinter liegenden Leichenhalle neu aufgebaut.

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