Samstag, 26. Dezember 2015

Betriebsführung bei Amazon Koblenz

Ein paar Wochen vor Weihnachten habe ich die Gelegenheit, das Amazon Logistikzentrum in Koblenz, erbaut im Jahr 2012, zu besichtigen. Das Koblenzer ist eines von insgesamt neun Logistikzentren in Deutschland und verfügt, wie die meisten Standorte, über 110.000 Quadratmeter Lagerfläche – das entspricht rund 17 Fußballfeldern. Amazon Koblenz gilt als einer der größten Arbeitgeber in der Region und wurde von der Agentur für Arbeit mit dem „Zukunftszertifikat 2014“ ausgezeichnet.


Rund 1.200 fest, plus 500 befristet beschäftigte Logistik-Mitarbeiter sorgen hier dafür, dass Bestellungen schnellstmöglich den Kunden erreichen. Zahlreiche Produkte werden Premium-Mitgliedern bei Bedarf sogar schon am Tag der Bestellung zugestellt. Für das Weihnachtsgeschäft werden in Koblenz zusätzlich 1.600 Saisonkräfte mit bis Ende des Jahres befristeten Verträgen als Verstärkung eingestellt. In den Einstiegspositionen als Receiver, Picker oder Packer (Warenannahme, Kommissionierung, Verpackung) soll nach Einarbeitung jeder neue Mitarbeiter angeblich spätestens nach vier Tagen fit für die zu verrichtende Arbeit sein. Mit dem um das Doppelte erhöhten Personalbudget will Amazon in Deutschland den für dieses Jahr erwarteten Rekordumsatz im Weihnachtsgeschäft stemmen. Weltweit werden für die Zeit Umsätze zwischen 33,5 und 36,7 Milliarden US-Dollar erwartet, für das Jahr wären es dann über einhundert Milliarden US-Dollar. Als ich später zu Hause diese Zahlen nenne, wird mir zunächst ein Hörfehler unterstellt, denn der Betrag erscheint einfach unglaublich.
Das Unternehmen, das für sich als „fairer Arbeitgeber“ wirbt, bietet seinen, auf dieses Milliardenziel hinarbeitenden Mitarbeitern zwar keine Tarifverträge, wie es in Deutschland die Gewerkschaft ver.di fordert und mit wiederholten Streikaufrufen zu realisieren sucht. Aber es bietet mindestens zehn Euro brutto pro Stunde. Schon im zweiten Beschäftigungs-Jahr verdient jeder Mitarbeiter in Koblenz umgerechnet mindestens 11,64 Euro brutto pro Stunde, wie Amazon informiert. Das so genannte Lohnpaket beinhaltet unter anderem Bonus- und Sonderzahlungen, Mitarbeiteraktien, Überstunden- und andere Zuschläge. Darüber hinaus präsentiert sich Amazon als attraktiver Arbeitgeber durch das „Career Choice“-Förderprogramm, mit dem es bis zu vier Jahre lang die berufliche Weiterbildung seiner Mitarbeiter unterstützt. 95 Prozent der Aus- und Fortbildungs-Kosten, maximal 8.000 Euro pro Mitarbeiter, übernimmt Amazon. Weltweit haben sich 183.000 Menschen für die Mitarbeit bei dem Online-Händler entschieden, wie das Unternehmen mit Stand Juni 2015 meldet. Amazon macht nicht nur als Arbeitgeber, sondern unter dem Motto „Amazon gemeinsam“ zusätzlich durch ein vielschichtiges soziales Engagement von sich reden. Es unterstützt gemeinnützige Organisationen mit Sach- und Geldspenden, engagiert sich für die Förderung der Lese- und Schreibkompetenz und aktuell auch in der Flüchtlingshilfe. An einer sehr praktischen Form von „Flüchtlingshilfe“ wird derzeit in Koblenz gearbeitet. In enger Zusammenarbeit mit Caritas und Agentur für Arbeit werde geprüft, zumindest für das Weihnachtsgeschäft dreißig Flüchtlinge zu beschäftigen. Das könnte für sie ein erster Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt sein. Menschen mit Migrationshintergrund zu beschäftigen, ist für Amazon keine Ausnahmesituation. Durch jahrelange und vielzählige Beschäftigung von aus hundert Nationen kommenden Mitarbeitern in Deutschland hat das Unternehmen große Erfahrung in Sachen Integration. Ich höre, dass auch Schwerbehinderte und Langzeitarbeitslose bei Amazon als Arbeitskräfte gut integriert sind. Wer bei Amazon arbeiten will, braucht wenigstens deutsche oder englische Sprachkenntnisse und muss die lateinische Schrift lesen können. Nur so können die zig Anweisungen und Sicherheitshinweise, die im gesamten Logistikzentrum ausgehängt sind, verstanden werden. Anweisungen und Hinweise, die auch der Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeiter dienen. Beides hat höchste Priorität, wie es in der Amazon-Imagebroschüre nicht nur nachzulesen, sondern bei der Betriebsbesichtigung real feststellbar ist. „18 Tage seit dem letzten Arbeitsunfall“ steht zum Beispiel auf einer Anzeigetafel in der Eingangshalle. Von hier aus hat man Einblick in den Kantinenbereich und die „Chill-Ecke“ mit Tischtennisplatten und Kicker-Spielen. Nach dem Passieren der Personen-Schleusen, die ähnlich wie an den Flughäfen funktionieren sollen, uns Gäste aber unkontrolliert passieren lassen, gelangt man in den „Receive“, den Wareneingang, wo jeder angelieferte Artikel elektronisch erfasst und in das System eingepflegt wird. Obwohl bei Amazon derzeit, wie in jedem Jahr zwischen Oktober und Dezember, Hochbetrieb herrscht, denn das Weihnachtsgeschäft läuft auf vollen Touren, ist keine Hektik feststellbar. Gestresste Mitarbeiter - Fehlanzeige. Komisch. Ich schaue mich in der riesigen Halle um und entdecke an den Wänden, offenbar als Motivationsschub zu verstehen, Informationen darüber, was das Unternehmen zusammen mit seinen Beschäftigten in bestimmten Zeiträumen geleistet und erreicht hat. Auf einem der Schilder ist als Rekordleistung in Koblenz der Versand von 507.000 Einheiten an einem Tag angegeben.

Im Gegenzug gibt es im Scannerakku-Aufladeraum Schriftbänder mit lobenden Sprüchen der Beschäftigten für ihren Arbeitgeber. „Ich finde die Arbeit hier richtig super“ oder „Die Arbeit ist einfach und macht Spaß“, lese ich.

Während der Führung, die seit Juni dieses Jahres als Besichtigungstour für die breite Öffentlichkeit angeboten wird, wird der gesamte Prozess erklärt, den die Waren bis zu ihrem Versand durchlaufen. Da erfährt man beispielsweise, dass die Einlagerung der Ware nach dem „System der chaotischen Lagerhaltung“ erfolgt,

also einzulagernde Ware immer da positioniert wird, wo gerade Platz ist. Ha, was bei Amazon funktioniert, sollte doch auch in meinem Haushalt funktionieren. Doch der beste aller Ehemänner beschimpft mich ständig für meine chaotische Lagerhaltung in den Schränken. Vielleicht wäre er heute besser mal mitgekommen. Damit die Dinge wiedergefunden werden können, muss ich natürlich manchmal etwas länger suchen. Bei Amazon werden Föhn, Buch und Creme nicht gesucht, sondern gefunden. Ein Handscanner macht es möglich. Mit ihm erfolgt eine gewissenhafte „Verheiratung“ von Artikel und Barcode des Lager-Faches.


Interessant ist, dass nicht an allen Logistikstandorten das gleiche Warensortiment eingelagert ist. Deshalb müssen zur Erfüllung mancher Kundenbestellungen die einzelnen Artikel von verschiedenen Standorten zusammengeführt werden. Von Koblenz aus werden auch Drogerieartikel und haltbare Lebensmittel, Weine und Spirituosen verschickt - das ist nur bei wenigen anderen Standorten der Fall. Sogar regionale Produkte, wie Gin aus der Eifel, finden sich im Sortiment, wie wir uns selbst überzeugen dürfen. Um den Mitarbeitern die Arbeit zu erleichtern, ihre Wegstrecken zu minimieren, führte Amazon in diesem Jahr, nachdem es im Jahr 2012 „Kiva Robotics“ übernommen hatte, erstmalig an einem Standort in Polen ein computergesteuertes Transportsystem ein. Wann das System in Deutschland startet, ist noch nicht bekannt, wie uns gesagt wird. Im gleichen Atemzug wird versichert, dass diese Technisierung keinesfalls zu einem Mitarbeiter-Ersatz führen werde. Ich frage mich, was passiert, wenn Amazon weiterhin so stark expandiert. 2014 gab es immerhin schon 109 Logistikzentren weltweit. Fünf Jahre zuvor waren es noch 39. Irgendwann wird es wohl außerirdische Standorte geben. Gründer Jeff Bezos scheint die erste Hürde dafür gerade genommen zu haben. Als angehender Raumfahrt-Unternehmer brachte er bei einem Testflug jetzt schon mal eine unbemannte Raumkapsel und die wiederverwendbare Trägerrakete sicher zur Erde zurück.

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