Burg
Lahneck, 164 Meter ü.NN. auf einem steilen Felssporn errichtet, gilt
als Wahrzeichen der Stadt Lahnstein.
Um so betrüblicher war es, dass
die neunköpfige Erbengemeinschaft sie in diesem Jahr viele Monate lang nicht für
Besucher öffnete - zum ersten Mal seit mehr als achtzig
Jahren. Seit Robert Mischke, Vizeadmiral der kaiserlichen Marine die
Burg im Jahr 1909 erwarb, ist sie im Besitz der Familie. Im September
2015 wurde der Führungsbetrieb erfreulicherweise wieder aufgenommen
und wird ab Ostern 2016 seinen gewohnten Gang nehmen. Einer
der rund zehn Burgführer ist Stefan Nürnberger.
Nach einer
Einführung durch erfahrene Burgführer-Kollegen und mit viel
„learning by doing“ ist er, wie er mir erzählt, nach neun Jahren in diesem „Job“
mit einem Rundum-Wissen über die Burg und ihre Geschichte
ausgestattet. Bevor die Burg sich von November bis März in den
Winterschlaf begibt, zeigt er mir bei einem informativen Rundgang noch
einmal Burgküche, Burgkapelle, Rittersaal, Ausstellungsräume und
Bergfried. Statt allzu vieler Jahreszahlen lerne ich von ihm mehr
über die Besonderheiten der Räume und von mancher der vielen im
Mittelalter entstandenen Redensarten. Doch ganz ohne Jahreszahlen lässt er mich nicht davonkommen. Wann genau die Burg erbaut wurde, ist nicht erwiesen,
aber es gibt Anhaltspunkte, dass es schon um 1226 geschah. Sie diente
als Schutzburg für die umliegenden, im Besitz des Mainzer
Erzbischofs und Kurfürsten Siegfried von Eppstein befindlichen
Gebiete. Nach Verwüstungen, die die Burg im 30-jährigen Krieg
(wahrscheinlich im Dezember 1936) durch schwedische Truppen erfahren
musste, und nachdem die letzten noch stehenden Dächer von
französischen Truppen 1688 im Pfälzischen Erbfolgekrieg in Brand
geschossen wurden, war sie nur noch eine Ruine und diente als
Steinbruch. Erst mit dem Jahr 1803 begann eine neue Ära. Im Zuge der
Säkularisation des Erzbistums Mainz ging die Burg an das Herzogtum
Nassau über. Somit wurde aus Kirchenbesitz Privatbesitz. Mitte des
19. Jahrhunderts
erwarb der schottische Eisenbahnunternehmer Edward A. Moriarty die
Ruine von der Familie Lassaulx und begann, die Burg im Stile der
englischen Neugotik wieder aufzubauen. Die Arbeiten wurden von seinem
Nachfolger Gustav Göde abgeschlossen. Die nachfolgenden Besitzer
gestalteten die Anlage durch verschiedene Um- und Aufbauten immer
wieder um. Der einstige Wehrbau verwandelte sich in eine Wohnburg, in der in Teilbereichen sogar bis vor wenigen Wochen noch gewohnt wurde.
Dem
Geschichts-Exkurs folgt endlich die eigentliche Führung. Nach dem
Durchschreiten des Burgtors stehen wir im Burghof.
Die Tür auf
der rechten Seite schließt Nürnberger mit dem imposanten
Burgschlüssel auf. Dahinter liegt die mit Natursteinboden
ausgestattete Burgküche. Nicht nur aus praktischen, sondern
vermutlich auch aus taktischen Gründen soll der Brunnen, der heute
noch Wasser führt, in der Küche angelegt worden sein. Auf diese
Weise konnte das Brunnenwassers zumindest von außen nicht vergiftet
werden. Eines der um den Ofenplatz ausgestellten Kleinteile ist ein
hölzernes Joch. Nürnberger führt mir vor, was es wörtlich bedeutet,
„ein schweres Joch zu tragen“.
Noch schnell ein Gruß zum
Leuchterweibchen, das nach Nürnberger allerdings ein -männchen ist.
Nun, ja. Das ist wohl Ansichtssache. Die hölzerne Figur wacht an der Spitze des aus Geweihstangen
gefertigten Kronleuchters. Dann muss mein Führer „einen Zahn zulegen“. Im
Mittelalter bedeutete das, den Topf näher an das Feuer zu bringen.
Doch heute bedeutet es, sich zu sputen, denn eine weitere
Besucher-Gruppe ist uns bereits auf den Fersen. Beim Weitergehen kommen wir an einigen Folterwerkzeugen vorbei und erreichen dann die auf das Jahr
1226 zurückgehende, dem Heiligen Ulrich geweihte gotische
Burgkapelle, 15 Meter lang, 8 Meter breit. Der hohe Raum besticht
durch bleiverglaste Fenster mit Glasmalereien und den in Rautenform
verlegten, mehrfarbigen Lahnmarmor-Boden.
An manchen Stellen hat der Zahn der Zeit seine Spuren hinterlassen. Als Hingucker ist im
Chorbereich eine Luther-Bibel aus dem Jahr 1712 ausgestellt. Ebenso
beeindruckend ist das Hungertuch aus dem Jahr 1513. Die
großformatigen Gemälde an den Wänden hier, wie im übrigen
Burgbereich, entstammen der familieneigenen Kunstsammlung, wie
Nürnberger ausführt.
Ich entdecke eine in der Kapelle aufgestellte
Schatzkiste und will natürlich wissen, was es mit ihr auf sich hat. Nürnberger
öffnet die mit elf Riegeln und einem Geheimschloss gesicherte Truhe,
deren Besitzer offenbar „auf den Hund gekommen“ war, denn nur
einige wenige Geldstücke bedecken noch den Grund. Schade.
Weiter geht es in
den Rittersaal, wo vor einem riesigen, aus flämischer Produktion
stammenden Wandgobelin, dessen Farben ihre ursprüngliche Leuchtkraft
im Laufe der Zeit erheblich einbüßten, zwei Rüstungen ausgestellt
sind. Besonders bei den speziellen Kinderführungen erfreuen sie sich
großer Beliebtheit, zumal sie angefasst und die separat ausgelegten
Helme sogar aufgezogen werden dürfen. Ich habe mich jetzt nicht getraut, zu fragen, ob der liebe Herr Nürnberger mal ein Foto von mir mit Helm schießen würde. Auch die Waffen, wie zum
Beispiel der als Schlagwaffe eingesetzte Morgenstern, faszinieren
(nicht nur ) kleine Ritter. Nach Verlassen des Saales müssen sich die Besucher normalerweise zunächst einmal die eigens dafür ausgelegten Filzpantoffeln
überziehen, denn der Parkettboden der folgenden Räume verträgt den
Tritt von hartem Schuhwerk nicht. Ich darf heute ausnahmsweise mal mit meinen Straßenschuhen drüber laufen - und tue das gaaaanz vorsichtig. Die Ausstellungsräume zeigen eine
bunte Sammlung an Mobiliar und Gebrauchsgegenständen, die die
Wohnkultur des 17. bis 19. Jahrhunderts widerspiegeln.
„Anno 1700“
ist auf der Frontplatte eines aus Grauguss gefertigten Beileger-Ofens
eingraviert. Ein Ofen, der gleichzeitig zwei Räume beheizt hat. Aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammt das mit einem
aufwändigen Rahmen bestückte, Königin Victoria darstellende
Gemälde.
Sehenswert sind zudem die Sitzecke, auf deren Tisch stets
eine Vase mit frischen Blumen steht, die mit Seidentapeten oder in
Schablonentechnik verzierten Wände, Echtkristall-Leuchter,
Nähkästchen und Aussteuer-Truhen.
Ein echtes Schmuckstück ist das
150 Jahre alte Puppenhaus mit einer detailverliebten Ausstattung in
allen acht Zimmern. Ach, wie sehr hatte ich als kleines Mädchen von einem solchen Haus geträumt! In einem der Ausstellungsräume befindet sich ein, mit einem Gitter überdecktes
Loch im Boden. Hierdurch flüchtete schon so mancher in den Keller.
Nürnberger bietet mir einen Abstieg in die Unterwelt an, doch in Anbetracht der vielen Spinnenweben verzichte ich lieber. So geht die Führung geradewegs in eine andere Richtung - nämlich hoch
hinauf. Eine schmale Wendeltreppe führt auf den dreißig Meter
hohen, fünfeckigen Bergfried. Bei rund 15.000 Besuchern pro Jahr
lasse sich auf Burg Lahneck, im Gegensatz zu den meisten anderen
Burgen der Region, der Auf- und Abstieg gefahrlos ermöglichen.
Viele, die es im Verlauf der Jahre wenigstens in das erste
Zwischengeschoss geschafft haben, hatten offenbar das Bedürfnis,
sich hier zu verewigen. Die Wände sind bekritzelt mit Namen und
Sprüchen. Ich nutze das Lesen der Texte als Vorwand für eine Verschnaufpause, denn ich bin jetzt schon ganz gehörig außer Atem, was ich natürlich keinesfalls zugeben werde.
Die Kletterpartie geht weiter hinauf, bis wir schließlich
die oberste Plattform erreichen, auf der die rot-weiße Burgfahne im
Wind weht. Die Aussicht über das Lahntal ist grandios. Ich bin einen Moment lang sprachlos, nicht nur, weil mir noch die Luft zum Sprechen fehlt. Leider haben wir keine Zeit, hier länger zu verweilen. Die Führung ist
zu Ende.
Doch zum Trost wartet in der vor der Burg gelegenen, frisch
renovierten Burgschenke Pächter Ventsislav Pehlivanov mit frisch
gebackenem Apfel- und Käsekuchen auf uns. Der Espresso geht aufs Haus. Das ist wirklich nett. Und ich verspreche, im nächsten Jahr wiederzukommen, wenn die Terrasse geöffnet ist. Dann werde ich auch mal kosten, was der Wirt so aus der Küche herauszaubert.
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