Freitag, 11. Dezember 2015

Unterwegs im Stromerwald

Ein vierköpfiges Team des Forstamtes Lahnstein steht am frühen Morgen bereit, als ich zu der für mich sehr unwirtlichen Zeit am Forstamt ankomme. Gemeinsam warten wir auf die ersten Besucher des Tages. Die 15-köpfige „Fuchs“-Gruppe der KiTa St. Barbara ist mit ihren Erzieherinnen hergekommen, um den „Stromerwald“ zu erkunden, der um das Forstamt herum angelegt ist. Hier von „Wald“ zu sprechen, ist eigentlich übertrieben, denn das parallel zur Lahn gelegene, naturbelassene Gelände macht mit vereinzelten Bäumen und Sträuchern auf mich einen eher parkähnlichen Eindruck. Ich erfahre, dass „Stromerwald Lahnstein“ ein Gemeinschaftsprojekt von Stadt Lahnstein und Landesforsten ist, das gerade sein zehnjähriges erfolgreiches Bestehen feiern konnte. „Stromerwald“ heißt es wegen der Nähe zum Strom (die Lahn) und weil sich das große Forstamts-Grundstück zum Stromern geradezu anbietet. Dazu lädt das Forstamt Lahnstein alle Kinder vom Vorschulalter bis zu den ersten beiden Grundschuljahren unter pädagogischer Betreuung ein. Glücklich die Erwachsenen, die sie begleiten dürfen! Mit allen Sinnen sollen die Kinder den „Stromerwald“ erfahren, die Natur spielerisch und emotional entdecken. Außer auf Pirschpfad und Kletterbaum können weitere Abenteuer zum Beispiel auf Barfußpfad und Piratenschiff bestanden werden. Das vom Forstamt erbrachte Waldpädagogik-Gesamtpaket „Stromerwald“ und „Schulwald“ (im Staatswald des Forstamtes angelegt) haben bislang mehr als 10.000 Kinder und Jugendliche angenommen. Höhepunkt sind immer wieder die für die 3. Grundschulklassen veranstalteten Waldjugendspiele.

Im „Stromerwald“ wird sich heute die „Fuchs“-Gruppe beim Baumklettern ins Zeug legen und auf den Pirschpfad begeben. Zu Beginn bittet Dieter Bielicki, Produktleiter Umweltbildung am Forstamt, Kinder und Erwachsene, sich für das Begrüßungsritual an den Händen haltend im Kreis aufzustellen. Ich bin Teil des Kreises und spüre, wie sich die kleinen Händchen vertrauensvoll in meine legen und bin ganz gerührt. Jetzt wird die Gruppe aufgeteilt in Kletterer und Pirscher. Nach jeweils bestandenem Abenteuer sollen die Rollen getauscht werden. Am liebsten möchten alle, ob vier oder sechs Jahre alt, als erstes klettern, denn das erscheint besonders spannend. Mich fragt leider niemand, ob ich auch mal klettern möchte. Bestimmt hundert Meter hoch sei der Baum, meint eines der Kinder. Victoria Mayer, die sich derzeit in Ausbildung zur zertifizierten Waldpädagogin befindet, legt den ersten Kindern die Klettergeschirre an, während Bielicki am Sicherungsseil schon den so vorbereiteten kleinen Zidan empfängt. Er setzt ihm einen Schutzhelm auf und demonstriert dem Jungen, indem er ihn frei am Seil schwingen lässt, wie sicher er aufgehoben ist. Jetzt wagt sich der Junge an den Aufstieg. Schafft er es, den bis zur Umlenkrolle abgeasteten Baum zu erklimmen, hat er eine Höhe von rund zehn Metern erreicht. Aber schon nach wenigen Schritten baumaufwärts verlässt Zidan der Mut. Unten wartet ungeduldig sein zwei Jahre älterer Bruder Zino auf seinen Einsatz. Mit Bielickis Ratschlägen, wie es am besten hochgeht, spurtet der Junge hinauf. Seine Kindergartenfreunde sitzen unten auf den vor dem Baum halbkreisförmig angeordneten Birkenholzblöcken und feuern ihn an. Zino lacht vor Freude, als er merkt, dass er schon hoch über dem Kopf des Försters ist. So viel Eifer zu erleben, das macht natürlich auch Bielicki Spaß. Nach und nach kommt nun jedes Kind mit Klettern an die Reihe. Eines aus der Gruppe traut sich tatsächlich bis zur Zehn-Meter-Marke hoch. 
 
Während hier noch geklettert wird, erhält die zweite Gruppe Kinder durch den staatlich zertifizierten Waldpädagogen Willi Bausch-Weis eine Einführung in die Kunst des Pirschens, damit kein knackendes Ästchen die Tiere des Waldes aufschreckt. Welche Tiere sind es, die im Wald leben? Um das zu erklären, hat das Forstamt-Team viele kleine und große Tiere - leider nur aus Holz gestaltete, zweidimensionale Attrappen - auf dem Pfad versteckt, auf dem Boden oder an den Bäumen. Sind sie entdeckt worden, sollen die Kinder sie bestimmen und die typischen Verhaltensweisen/Merkmale nennen. Schon rufen die ersten: „Ein Eichhörnchen!“ und zeigen auf die am Baumstamm haftende Figur. Erstaunlich, wie gut sich die Kinder mit den Waldtieren auskennen – offenbar Kindergarten sei Dank. Die katholische Kindertagesstätte St. Barbara legt Wert darauf, den ihnen anvertrauten Kleinen in allen vier Gruppen auch Inhalte aus dem Natur- und Umweltbildungsbereich zu vermitteln, sagt Ingrid Bernardy-Edelmann, eine der Erzieherinnen. Für den Eichelhäher brauchen die Kinder noch ein wenig Nachhilfe. Ich hätte ihn vermutlich gar nicht erkannt. Bausch-Weis erklärt, und das ist auch für mich neu, dass der Vogel ein Freund des Försters ist, weil er Eicheln vergräbt, wodurch neue Eichen im Wald heranwachsen.


Beim Fuchs kann der „Fuchs-Gruppe“ der KiTa natürlich niemand mehr etwas vormachen. Den kennen sie richtig gut. Den Restmüll durchsuchenden Marder halten sie erst einmal für einen Biber, aber den klopfenden Specht kennen sie wieder alle. Auf dem Pfad weiter vorangehend kommen sie noch an Wolf, Reh, Hase, Storch und etlichen anderen Tieren vorüber. Der Wolf gleicht eher einem Wildschwein, aber das ist ja jetzt egal. Die kleine Anne entdeckt sogar einen Uhu hoch oben am Baumstamm. Der Kuckuck dagegen war etwas schwer zu erkennen - da hat der Tiermaler seiner Kreativität schon wieder zu viel freien Lauf gelassen. Aber den Igel im Laubhaufen, den kann man nicht verwechseln. Dass die kleinen stacheligen Tiere nur hier und jetzt gestört werden dürfen, lernt die „Fuchs-Gruppe“ ebenso wie von der Gefahr, die mit Martins- und Osterfeuern für die Igel und andere Kleintiere einhergeht. Mit viel Geduld und hervorragend auf die Kinder eingehend gibt Bausch-Weis tierisch guten „Unterricht“ inmitten der Natur, die obenauf einen grandiosen Blick auf Burg Lahneck gewährt. 


Doch das sehen nur wir Erwachsenen. Die Kinder haben dafür kein Auge. Schön anzusehen ist auch das Forstamtsgebäude, ein weißes, langgezogenes Haus mit roten Klappläden und Schieferdach. Es handelt sich dabei um den als Kulturdenkmal ausgewiesenen Arnsteiner Hof, ein ehemaliges Kloster (erstmals erwähnt im 12. Jahrhundert), das bereits im Jahr 1869 zum Dienstsitz des damaligen Oberförsters umgebaut wurde.

Während ich mich noch in die Geschichte hineinversetze, stürmen die Kinder zur Abenteuer-Halbzeit in das Haus, um sich bei einer vom Forstamt angebotenen kleinen Zwischenmahlzeit für den zweiten Teil des Naturerlebnis-Tages zu stärken. Für mich gab es leider keine Stärkung. Musste dann zu Hause das Frühstück nachholen.

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