„Das
Haus im Zentrum der Stadt ist auch mitten in der Gesellschaft als
intellektueller musischer und sozialkritischer Unterhalter,
Querdenker und Impulsgeber“, schreibt die rheinland-pfälzische
Kulturministerin Doris Ahnen im Vorwort zum Spielzeitheft des
Theaters Koblenz 2012/2013. Tatsächlich trägt das ehemals
kurfürstliche Komödien- und Ballhaus des Trierer Kurfürsten und
Erzbischofs Clemens Wenzeslaus, seinerzeit erbaut und betrieben von
Hofrat Franz Josef Schmitz, seit 225 Jahren zum kulturellen Leben der
Stadt entscheidend bei. Ein 19 Meter hoher Obelisk mit dem
Clemensbrunnen auf dem Theatervorplatz erinnert an den beliebten,
bürgernahen Fürsten, dessen 200. Todestag in diesem Jahr das
Mittelrhein-Museum Koblenz eigens als Anlass für eine Ausstellung
nahm. Von Anfang an war das Haus am heutigen Deinhardplatz ein
Theater der Bürgerschaft. So bestätigt es auch die lateinische
Inschrift an der Fassade des Hauses: „Den
Musen, der Sittlichkeit und zur Freude der Öffentlichkeit errichtet
1787“. Und
die Koblenzer lieben ihr Theater immer noch, heute vielleicht sogar
mehr als damals. Sogar einen eigenen Freundeskreis hat es. Der heute
rund fünfhundert Mitglieder zählende Verein gründete sich 1982 aus
einer Bürgerinitiative heraus. Allein die Architektur - das Haus ist
der einzige erhaltene klassizistische Theaterbau am Mittelrhein und
wurde 2002 Teil des Unesco-Welterbes „Oberes Mittelrheintal“ - ist
es wert, für dieses Theater im Herzen der Stadt, aber auch für
seinen Erhalt als Dreispartenhaus einzutreten. Das Theater ist zudem
das früheste erhaltene Beispiel eines Rangtheaters in Deutschland.
Es bietet etwas weniger als fünfhundert Besuchern Platz. 1787, am
23. November, eröffnete der (dann) Direktor, Hofrat Schmitz, das
Theater mit einer Aufführung von Mozarts „Die Entführung aus dem
Serail“. 225 Jahre später nimmt der vierte Intendant des Theaters,
Markus Dietze, der seit Sommer 2009 das Theater leitet, den Faden auf
und lässt das Singspiel als erste Musiktheater-Premiere der
Spielzeit 2012/13 wieder aufführen. Außerdem wird Friedrich
Schillers „Die Räuber“ noch einmal, sogar auf den Tag genau wie
in 1787, Premiere feiern. „Wir wollen es spielen wie damals“
versprach Dietze bei der Spielplan-Ankündigung. Auf der Bühne wird
offenkundig erlebbar, was Kulturdezernent Detlef Knopp im
Spielzeitheft 2010/11 schreibt: „Theater sind Räume unseres
kollektiven Gedächtnisses, Orte der aktiven Erinnerung“.
Dietze,
der viel frischen Wind in das Theater brachte, und leidenschaftlich
für das Dreispartenhaus kämpft, strebt besonders vielfältige,
aufwühlende, berührende, begeisternde, verstörende Spielpläne an.
Das Publikum und die Stadt registrieren und honorieren sein
Engagement. Sein Vertrag als Intendant wurde im vorigen Jahr bis zum
Ende der Spielzeit 2016/17 verlängert. Die Spielzeit 2010/11 mit
„Don Giovanni“, „West Side Story“, „Werther“, „Was Ihr
wollt“, „Alma, meine Seele“ und vielen anderen Produktionen
konnte Dietze von der „zweckgebundenen Verfügungssumme“ her als
Rekordspielzeit verbuchen. Neben dem eigenen Theaterensemble, das
sich Koblenz noch gönnt, leistete einen großen Beitrag zu diesem
Erfolg (und wird ihn auch weiterhin leisten) das 1945 gegründete
Theaterorchester „Rheinische Philharmonie“, das bei den rund 140
Musiktheatervorstellungen jährlich immer wieder begeistert. Das
Theater als Vielfalt, wie es optimal sein sollte, stellt sich in
Koblenz sehr konsequent dar. Musik, Theater, Ballett gehören in
einem Dreispartenhaus selbstverständlich auf den Spielplan. Aber das
Theater Koblenz bietet darüber hinaus viel mehr. Unter der
Überschrift „Theaterpädagogik“ finden sich Tanz-Workshops,
Schauspielclubs für Theater interessierte Erwachsene und
Jugendliche, Musik- und Tanztheaterprojekte und Workshops für
Schulklassen. Darüber hinaus gibt es Kooperationen zum Beispiel mit
dem Koblenzer Jugendtheater, mit dem Staatsorchester Rheinische
Philharmonie und mit Schulen auch aus der Region. Neben dem Spielplan
folgenden Produktionen im Theatersaal lässt sich auch Kultur am
Rande erleben. Das sind Einführungsveranstaltungen zu
Neuproduktionen und Premieren in allen drei Sparten, zum
Operettenrausch gebundene Melodiensträuße und Late-Nights an
überraschenden zum Theaterbereich gehörenden Orten, die inzwischen
Kultcharakter haben. Das alles stemmt ein Team aus rund zweihundert
Mitarbeitern aus mehr als zwanzig Nationen. Die Proben und Arbeiten
dafür mussten viele Jahre lang in drangvoller Enge bewältigt
werden. Ein Erweiterungskomplex, der vor ein paar Tagen eröffnet
wurde, schafft nun endlich Abhilfe und angemessene
Arbeitsbedingungen. Aber was die Finanzen anbelangt, drückt der
Schuh, wie bei vielen anderen Theaterbetrieben auch, immer noch.
Schon seit den 1980er Jahren ist der Erhalt der drei Sparten wegen zu
hoher Zuschüsse und zu geringer Einnahmen ein ständig aktuelles
Thema - nicht nur für die Stadt, die das Haus schlichtweg als Amt
Nummer 46 führt. In ihrer Kommunalstatistik zeigt die Stadt trotz
all der vorgenannten lobenswerten Engagements, rückläufige
Besucherzahlen auf: Werden für 2009 noch 72.000 Besucher genannt, so
sollen es 2011 nur noch 57.000 gewesen sein. Trotzdem gibt es viel
Empörung in der Bevölkerung, die ihr Theater einfach ins Herz
geschlossen hat, wenn über Sparmaßnahmen in jeglicher Spielart nur laut nachgedacht wird. Denn (Theater-)Kultur will niemand
beschnitten wissen, schließlich nehme Theater eine immer stärkere
Rolle im Bereich der kulturellen Bildung für alle ein, sagt Knopp.
Dabei dürfe man nicht ständig das ökonomische Prinzip des
Mehrwertes im Kopf haben. Der Wert des Ortes Theater müsse unbedingt
auch an die nachfolgende Generationen weitergeben werden. Wenn man
den Begriff „Kultur ist Lebensmittel“ realisiert, würden wir
anderenfalls doch hungernde Kinder und Enkel zurücklassen. Dass
Theatererlebnisse so vielfältig wie Lebenserlebnisse sind, will das
Theater im Herzen der Stadt Koblenz allen Bürgern, auch denen, für
die es bislang ein eher unbekanntes Terrain darstellt, vermitteln. Um
diese Erfahrung zu machen, sollte sich selbst niemand die
Vorstellungen in diesem schönen Theater vorenthalten. Den Hauch von
Geschichte, der durch den Theatersaal zieht, nicht nur zu kombinieren
mit historischen Stücken, sondern auch einmal gepaart zu erleben mit
modernen Darbietungen, könnte ein Genuss sein, den zu schmecken man
gar nicht mehr leid wird.