Busreisen finde ich ja grundsätzlich
genial. Als Reisender brauche ich mich um nicht mehr zu kümmern, als
rechtzeitig an der Bushaltestelle zu sein. Der einzige Nachteil: Die
Abfahrt erfolgt meist zu nachtschlafender Zeit, und bis man endlich
wirklich unterwegs Richtung Ziel ist, dauert es oft ein bis zwei
Stunden, weil so viele Zwischenstopps zur Beladung mit weiteren
Reisegästen eingelegt werden. Ich, in Koblenz wohnend, wollte nach
Nancy (Lothringen) mit einem Busunternehmen aus Mayen. Als die
Reisebestätigung eintrudelte, entschloss sich auch der beste aller
Ehemänner, der zuvor rigoros erklärt hatte, nicht mitfahren zu
wollen, doch teilzunehmen. Drei Tage später erhielt dann auch er
seine Bestätigung.
Weitere sechs Wochen später, Mitte
Juli, klingelt unser Wecker um 3.30 Uhr. Puh. Um zum Busbahnhof zu
gelangen, können wir gottseidank den in der Nähe gelegenen
Firmenparkplatz meines Arbeitgebers nutzen. Von dort haben wir nur
ein paar Schritte zu gehen, der Bus steht schon da, etliche
Mitreisende auch. Abfahrt sollte um 5.15 Uhr sein, nicht früher als
fünf Minuten vor dem Termin öffnet der Fahrer die Türen, damit
alle einsteigen können. Womit wir bei einer Tagesfahrt nicht
gerechnet haben: Es gibt reservierte Sitzplätze. Da der Gatte und
ich an verschiedenen Tagen gebucht hatten, wir zudem nicht die
gleichen Nachnamen haben, sind für uns natürlich keine
nebeneinander liegenden Plätze reserviert. Er hat Nummer 32, ich 23.
Die 23 stellt sich als absolute „Arschkarte“ an diesem Tag
heraus, denn auf dem Gang-Platz daneben sitzt schon ein XXL-Mann, der
nahezu beide Sitzplätze für sich einnimmt. Für mich ist da maximal
noch ein halber Sitz frei. Oh je. Jetzt werde ich panisch, weil ich
mir die vier Stunden Fahrtzeit in dieser eingeklemmten Lage
vorstelle. Gefrustet setze ich mich mal erst neben meinen Mann. Wir
überlegen hin und her, wie wir das Problem lösen könnten. Meinen
Platz neben dem XXL-Mann kann ich ja wohl kaum jemandem zum Tausch
anbieten. Da müsste ich schon einen Hunderter obenauf legen. Die
einzige Möglichkeit besteht darin, den Mann jetzt zu fragen, ob er
seinen Platz gegen den meines Mannes (auch ein Gangplatz, nur drei
Reihen dahinter und auf der anderen Seite) tauschen würde. Dann
hätte halt die Person, die später einsteigen würde und den
Sitzplatz neben (ehemals) meinem Mann – dann dem Dicken -
zugewiesen bekäme, die Arschkarte. Allerdings würde die sich
möglicherweise beschweren, der Fahrer würde feststellen, dass der
Dicke auf einem Platz sitzt, der ihm gar nicht gehört, und wir
bekämen die Ohren lang gezogen. Egal. Ich wage es. Doch der Typ
antwortet rotzfrech und sehr selbstbewusst, er säße da, wo er
sitzt, sehr gut. Sehr entgegenkommend. Natürlich weiß er nicht,
dass ich diejenige bin, die eigentlich seine Sitznachbarin ist. Ich
kriege Hitzewellen und einen roten Kopf vor Ärger.
Setze mich wieder auf den Platz, der
nicht meiner ist, während der Bus schon zum nächsten Zustieg-Halt
unterwegs ist. Während der Fahrt quatscht uns dann die hinter uns
sitzende Mitreisende an. Ein von kaltem Rauch getränkter Atem umweht
meine Nase. Brrr. Und das am frühen Morgen. Zunächst ist es ihr
Interesse an unserem Sitzordnungs-Problem, dann schüttet sie uns
aber ihr ganzes Leben ins Ohr. Wir erfahren alles über Kollegen,
Nachbarn und ihre Erfahrungen mit Menschen im Allgemeinen. Der Bus
hält, Leute steigen ein. Mein Herz klopft. Hoffentlich ist niemand
dabei, der meinen „Jetzt-Platz“ beansprucht. Nein, dieses Mal
noch nicht. Der Busfahrer ist ausnehmend muffig, hat noch kein Wort
an die Reisenden gerichtet. Nicht einmal ein „guten Morgen“ beim
Einsteigen. Noch ein paar Zustiege-Halts. Beim Vorletzten wartet der
Bus vergebens auf die Gäste. Das erweist sich am Ende als unser
Glück. Denn ausgerechnet einer von denen hätte wohl der Sitznachbar
meines Mannes sein sollen. Dann hätte ich in den sauren Apfel beißen
müssen. So viel Glück habe ich sonst selten, aber dieses Mal war es
mir hold.
Wir machen eine Pause, der
Raststätten-Parkplatz in Wasserbillig ist rappelvoll. Viele scheinen
hierher zu kommen, um ein paar günstige Einkaufs-Schnäppchen zu
machen. Denn jeder weiß, dass man wegen niedriger Kraftstoffpreise
hier günstig tanken kann und außerdem Niedrigpreise bei Sekt,
Kaffee, Spirituosen und Zigaretten zu erwarten sind. Und, wie ich es
bei fast jeder Busfahrt bisher erlebte: Einige wenige schaffen es
einfach nicht, die Zeitvorgaben für die Weiterfahrt zu beachten.
Alle 55 Gäste sind an Bord die restlichen drei sind nicht zu sehen.
Mit siebenminütiger Verspätung schlendern sie schließlich ganz
gelassen heran. Steigen ein – eine Entschuldigung? Fehlanzeige. Wir
fahren weiter, an Metz vorbei, erhalten noch einmal eine kleine
Lesung zu den Sehenswürdigkeiten dieser Stadt und kommen schließlich
um 10.00 Uhr in Nancy an.
Unser Bus ist einer der ersten, hier am
Cours Léopold parkenden Reisebusse. 21 Grad. Regen. Toll. Da will
natürlich keiner raus aus dem Bus. So warten wir mal erst auf den
Stadtführer. Vincent heißt der junge Mann, den man schon allein
wegen dieses charmanten französischen Accents lieben muss. Er will
uns eine Jugendstil-Führung durch Nancy zugute kommen lassen. Der
Platz am Rande der Altstadt, auf dem die Busse parken, wurde im 19.
Jahrhundert angelegt. Drum herum stehen mehrere Jugendstil-Häuser.
Jugendstil oder Art Nouveau, wie es in Frankreich heißt. Noch bevor
er mit der Führung beginnt, erklärt uns Vincent, welchen Weg man am
besten in die Altstadt nimmt, und wo man das Fremdenverkehrsamt
findet (Place Stanislas), um sich den kostenlosen Stadtplan zu holen.
Obwohl wir ja im Zeitalter der Navigationsgeräte leben, sind die
meisten zu Fuß gehenden Touristen doch immer noch mit Stadtplänen
in der Hand zu sehen. In einigen Jahren sind die wahrscheinlich auch
schon ausgestorben, und alle starren nur noch auf ihre Smartphones,
um sich von ihren Apps durch die Städte leiten zu lassen. Neue
Zeiten, neue Sitten. Auch eine Art von Art Nouveau, denn die nur rund
zwanzig Jahre andauernde Kunstrichtung (Ende 19./Anfang 20.
Jahrhundert) entstand aus dem Willen heraus, sich zu erneuern. Die
Natur war Vorbild und Stilmittel der Jugendstilkünstler, wie uns
Vincent erklärt. Und in Nancy sei sie sehr realistisch in der Kunst
wiedergegeben worden. Metall, das im Zuge der industriellen
Revolution als neues Baumaterial entdeckt wurde, ist auch für den
Jugendstil in Nancy sehr maßgeblich gewesen. Handwerker wurden hier
zu Künstlern. Wir sehen später noch zahlreiche kunstvoll verzierte
schmiedeeiserne Gitter, wo Blätter und Blüten dem Ganzen eine
heitere Leichtigkeit geben. Sehr beeindruckend.
Wegen des noch ziemlich unfreundlichen
Wetters starten wir die Stadtführung dann schließlich per Bus,
zumal auch die Sehenswürdigkeiten zu weit auseinanderliegen, um sie
zu Fuß abzulaufen. Wir fahren an Stadttoren, am Fluss Meurthe, an
Häusern mit schönen bunten Glasfenstern und an Parkanlagen vorbei.
„Schauen Sie, da laufen sogar Hünen im Park“, sagt Vincent. Er
meint natürlich Hühner. Am Maison Bergeret halten wir an. Für die
kurze Weile zeigt sich dann auch die Sonne. Das 1903 gebaute Haus ist
ein Jugendstil-Prachtexemplar. Leider kann man es nur von außen
besichtigen, sich aber durchaus vorstellen, wie schön es im Inneren
sein muss. Besonders wenn das Licht durch das große bunte Fenster
hineinfällt. Hier zeigt uns Vincent ein wunderbares schmiedeeisernes
Beispiel der „Silberblatt“-Pflanze, die in Nancy an vielen
Jugendstil-Häusern zu finden ist. Das nächste Jugendstilhaus, das
wir gezeigt bekommen, ist die 1901 erbaute Villa Majorelle. Weil es
wieder stärker regnet, guckt jeder, dass er irgendwo ein halbwegs
trockenes Stellplätzchen findet, so dass manche Erläuterungen, die
Vincent im Stil einer Architektur-Vorlesung abgibt, von diesen
Anstrengungen überlagert werden.
Kurz nachdem unser Bus wieder auf dem
Cours Léopold angekommen ist, hat sich die Sonne jedoch endgültig
durch die Wolken gekämpft, so dass wir die gut vier Stunden
Aufenthalt auch wettertechnisch in vollen Zügen genießen können.
Als erstes pilgern wir zwei mal zur Tourist-Info. Ich mühe mich mit
Französisch-Kenntnissen ab, die ich vor gefühlt hundert Jahren in
der Schule erwarb, um an den gewünschten Stadtplan zu kommen, bis
mir der nette Mann hinter der Bedientheke in blütenreinem Deutsch
Auskunft gibt. Hmmm, ganz schön doof.
Bei mir meldet sich das kleine
Hüngerchen, als ich vor nahezu jedem Restaurant in der Altstadt ein
Schild mit „Plat du Jour“ stehen sehe, auf dem die herrlichsten
Speisen für relativ kleines Geld (10 bis 12 Euro) angepriesen
werden. Bis 14 Uhr kann man diese Angebote nutzen. Aber nein, der
Gatte hat natürlich mal wieder keinen Hunger. Ich sehe förmlich,
wie ihm der Angstschweiß auf der Stirn steht, wenn er nur schon
daran denkt, ein fremdartiges Essen zu sich nehmen zu müssen.
Womöglich was mit Teig, Speck, Knoblauch... Deswegen habe er
schließlich gut gefrühstückt. Schade, dass wir beide so ganz
andere Vorstellungen von leckerem und gutem Essen haben. So verzichte
ich halt auch, und wir erobern die Altstadt von Nancy. Wir werden
sicherlich irgendwo einen Imbiss zu uns nehmen können.
Bei unserem Nancy-Bummel begegnet uns
ein Triumphbogen, ganz ähnlich wie der in Paris. Der Arc Heré wurde
zur gleichen Zeit wie der Place Stanislas zu Ehren Ludwig XV
errichtet. Natürlich gucken wir uns auch diesen 1755 eingeweihten
Platz an, der als der schönste Königsplatz Europas gilt. Kunstvoll
gearbeitete, vergoldete Gitter und üppig gestaltete Brunnen sind die
- im wahrsten Sinne des Wortes - Glanzlichter des Platzes, um den
herum sich Theater, Opernhaus und Rathaus gesellt haben. Jetzt, zur
Mittagszeit, ist es so heiß geworden, dass wir froh sind, an den
Brunnen ein wenig kühlendes Wasser an den Körper zu bekommen.
Zu Wasser fällt uns ein, unbedingt
auch den Freizeithafen St. Georges im Stadtzentrum anzusteuern. Dort
sollen jedes Jahr fast 2.000 Boote und Schiffe aus aller Herren
Länder einlaufen. Wir gehen den Kanal entlang, der von Grünanlagen
flankiert wird, und sehen dort neben einigen schönen Modellen
vorwiegend alte, sehr alte, heruntergekommene und zum Verkauf
stehende Schiffe von sieben Meter Länge und mehr liegen, die sich
mindestens monatelang schon nicht mehr vom Fleck gerührt haben. Hier
wird offenbar gewohnt. Einige Boote haben sogar einen Briefkasten am
Zugangssteg hängen. Auch mit den Gestalten, die sich in den
Grünanlagen und vor den Schiffen aufhalten, möchte man nicht
unbedingt Freundschaft schließen. Irgendwie haben wir das Gefühl,
dass sich hier eine Drogenszene angesiedelt hat.
Der beste aller Ehemänner setzt sich
auf irgendwas und verputzt sein jetzt wohl achtes Milchbrötchen,
während ich immer noch über das entgangene leckere Mittagessen
nachdenke. Er sieht ein, dass auch ich gerne was essen würde – und
zwar was Handfestes. Doch jetzt haben natürlich alle Restaurants
geschlossen. Denn nach 14 Uhr geht, wie fast überall im südlichen
Europa, gar nichts mehr, was ein warmes Essen anbelangt. McDoof oder
Imbissbuden scheinen in dem Teil von Nancy, durch den wir gehen,
Fehlanzeige zu sein. In der Nähe der Basilique Saint-Epvre finden
wir dann doch noch eine Art Schnellrestaurant für vorwiegend
Pasta-Gerichte, die man sich nach Wunsch zusammenstellt. Das Lokal
heißt „Francesca“ und wirbt mit leckeren und gesunden Gerichten,
mit Produkten direkt aus Italien. Ich nehme Spaghetti mit
Arrabiata-Sauce und Parmesan. Ist nicht viel, und es ist keine
geschmackliche Offenbarung. Aber es ist gut und es reicht, um meinen
Appetit einzudämmen. Und für insgesamt 7 Euro kann man ja nicht
meckern.
Unsere letzte Stunde in Nancy ist
angebrochen. Eine Bäckerei wollen wir noch aufsuchen, um uns ein
kleines Gebäck „auf die Hand“ zu kaufen. Unterwegs sehen wir
immer wieder die Fahrradverleih-Stationen, wo man sich für 1,50 Euro
pro Tag ein Fahrrad nehmen kann, um von A nach B zu kommen und es
dann an der nächsten Station in Zielnähe wieder einzustellen. Toll.
Warum gibt es das in Koblenz nicht?
Der Keks ist gefunden, wir stellen uns
an einen verwaisten Tisch einer (noch) geschlossenen Gastronomie und
genießen ihn – nicht den Tisch, sondern den Keks.
Hinter uns das älteste Stadttor von Nancy, das „Porte de la Craffe“, das uns sehr an das Holstentor in Lübeck erinnert. Es wurde im 14. und 15. Jahrhundert errichtet und diente als Gefängnis.
Nach und nach sehen wir die ersten Mitreisenden an uns vorbeigehen – alle auf dem Rückweg zum Busparkplatz. Wir machen uns auch auf.
Hinter uns das älteste Stadttor von Nancy, das „Porte de la Craffe“, das uns sehr an das Holstentor in Lübeck erinnert. Es wurde im 14. und 15. Jahrhundert errichtet und diente als Gefängnis.
Nach und nach sehen wir die ersten Mitreisenden an uns vorbeigehen – alle auf dem Rückweg zum Busparkplatz. Wir machen uns auch auf.
Um 16.30 Uhr sind es immer noch 27
Grad, wie das Thermometer im Bus anzeigt. Abfahrt. Wir lassen uns in
unseren Sitz fallen, von der Bord-Schlagermusik einlullen. Ich starre
auf den Kopf meines Vordermannes und frage mich, warum Russen oftmals
so flache Hinterköpfe haben. Werden die Russen-Babys von ihren Mamas
nicht gedreht? Da – ein Hinweisschild auf der Autobahn: Stau. Oh,
je. Die Klimaanlage im Bus ist auf gefühlte 18 Grad eingestellt. Ich
fröstele. Um 17.55 Uhr stellen wir uns in den Stau. Vor Langeweile
gucken wir uns mal die PKW an, die an uns vorbeiziehen. Besonders
interessant sind die Cabrios. Dort hinein lässt es sich prima
schauen vom erhöhten Standpunkt im Bus. Schuld am Stau sind
Bauarbeiten, für die die Autobahn komplett gesperrt wurde. Hey,
können solch aufwendige Arbeiten nicht nachts durchgeführt werden?
Um 18.39 Uhr haben wir etwa hundert
Meter Straßensperre umfahren. Die nächste Raststätte wird
angefahren. Wir gönnen uns einen Burger. Kurz danach erreichen wir
endlich wieder Rheinland-Pfalz. Das Leselicht im Bus lässt sich
genau so wenig einstellen wie die Lüftungsdüse. Der Busfahrer
bestimmt hier offensichtlich wieviel Licht und Luft den Fahrgästen
zusteht. Nicht schön. Nicht schön ist auch, dass wir beim Entladen
schon wieder hintenan stehen. Busfahrers Ehefrau wird in Mayen
natürlich zuerst abgesetzt, damit das Abendessen später fertig ist,
wenn er nach Hause kommt. Die Mayener freut's. Konnten sie am Morgen
schon eine Stunde länger schlafen, so sind sie am Abend eine Stunde
eher zu Hause. Fazit des Tages: Zu wenig Schlaf, etlicher Frust im
Bus, letztlich perfektes Wetter in Nancy, eine Stadt, die man - meiner Meinung nach - mal
gesehen haben kann, aber nicht unbedingt muss.